Ioanna Kostopoulou

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Über den Dächern von Tübingen

„Ich bin Dr. Maria Trumpf-Lyritzaki und der DAAD-Stiftung zu großem Dank verpflichtet für die Chance, mich während meines letzten Promotionsjahres so eng mit der Universität Tübingen vertraut machen und dort meine Forschung durchführen zu können."

Ioanna Kostopoulou, eine Doktorandin im Bereich der Archäologie, erhielt das Maria Trumpf-Lyritzaki Stipendium, das ihr die Möglichkeit gab, an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen zu forschen.

Im Folgenden teilt sie ihre wissenschaftlichen Erfahrungen und gibt spannende Einblicke in ihre Zeit in Deutschland:

Im Jahr 2019, begann ich ein gemeinsames Promotionsverfahren (Cotutelle) mit der Universität Gent und der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Bei diesem Modell handelt es sich um eine gemeinsame Betreuung durch Professorinnen und Professoren beider Universitäten; es stellt eine Zusammenarbeit zwischen den wissenschaftlichen Institutionen der beiden Länder dar.

Nach ein paar Monaten in Gent musste ich meine Forschung in Belgien aufgrund der Covid-19-Einschränkungen unterbrechen und kehrte dann fast zwei Jahre später zurück, um meinen 6-monatigen Aufenthalt dort abzuschließen.

Zu dieser Zeit wurde mir bewusst, wie sehr mir das Leben in einer kleinen Stadt und die Forschung an meiner eigenen Universität gefielen. Während meiner Suche nach einem Stipendium für die nächsten Jahre meiner Promotion entschied ich mich, mich für eine Förderung durch den DAAD e.V. zu bewerben (A.d.R.: Aufgrund ihrer akademischen Ausrichtung und ihres Hintergrunds erhielt Frau Kostopoulou ein Stipendium der DAAD-Stiftung). Das wäre die perfekte Gelegenheit, meiner zweiten Universität einen Besuch abzustatten, um zu forschen und die deutsche Kultur kennenzulernen. So erhielt ich in meinem vierten Promotionsjahr die Chance, in einer der schönsten Städte Deutschlands zu leben und dort die letzte Etappe meiner Forschung durchzuführen. Meine Zeit in Tübingen und meine Erfahrung an der Universität gehörte zu den besten, die ich jemals machen durfte.

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Tübingens malerische Ecken - eine Stadt mit Charme

Um zunächst auf die Ergebnisse meiner Forschung einzugehen: Mein Hauptziel für dieses Jahr war die bibliografische Forschung zur typologischen und stilistischen Analyse sämtlicher Formen von Tongefäßen, die in Pyla-Kokkinokremmos gefunden wurden. Mittels dieser Analyse konnte ich die Daten für die Mehrheit der Gefäße ermitteln und zwei mögliche Fälle zum chronologischen Rahmen der prähistorischen Siedlung vorbringen. Kurz gesagt steht es fest, dass Pylas Ende etwa zu Beginn des 12. Jahrhunderts v. u. Z. seinen Lauf nahm. Die genaue Entstehungszeit der Siedlung zu bestimmen, ist jedoch komplizierter.

Diese Komplexität ergibt sich aus der Tatsache, dass die Siedlung nur eine einzige architektonische Phase aufweist, bestehend aus einer Etage. Anhand dieser Umstände wäre zu erwarten, dass sich die gefundenen Tongefäße auf die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts v. u. Z. datieren lassen, was auf einen kurzen Zeitraum schließen lässt.

Dennoch hat sich herausgestellt, dass mehr als die Hälfte der importierten mykenischen Gefäße aus der ersten Hälfte jenes Jahrhunderts stammen, manche sogar aus dessen Anfangsjahren. Das ist eine ziemlich bedeutsame Entdeckung, da bei den mykenischen Tongefäßen von allen Funden an der Ausgrabungsstätte die präziseste Datierung möglich ist.

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Rückblick: Antike Tongefäße aus Höhentübingen

Die Existenz dieser frühen Gefäße lässt zwei mögliche Szenarien zu: Entweder wurde die Siedlung in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts (LH IIIB1) erbaut, wobei jegliche potenziell früher existierenden Etagen gründlich gesäubert wurden, oder die Gründung der Siedlung ereignete sich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts (LH IIIB2) und die früheren Gefäße wurden von den Gründern als deren Habseligkeiten auf den Hügel gebracht, als sie dorthin umsiedelten.

Diese Gefäße (datiert auf die 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts) stammen jedenfalls aus einem längeren Zeitrahmen und ihre besondere Bedeutung zeigt sich daran, dass sie selbst Jahrzehnte nach ihrer Entstehung noch weiter verwendet wurden.

Eine vollkommen neue Schlussfolgerung aus dieser Forschung war die Gegenwart von Menschen auf dem Plateau seit den frühen Phasen der spätzyprischen Epoche (etwa um das 16. Jahrhundert v. u. Z.). Dies zeigt sich an den zahlreichen Scherben früherer örtlicher Waren (Waren mit Weißem Streifen I, Schwarzem/Rotem Streifen, Weißer Bemalung etc.) und trägt zur Debatte über die Entstehungsgründe des Hauptsiedlungsraums im 13. Jahrhundert bei.

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Fragmente der Geschichte: Vasen und Gefäße als Zeugen vergangener Kulturen

Denkbar ist, dass diese Gründe mit der strategischen Lage des Hafens und der wahrscheinlichen Herkunft der Siedler, welche vermutlich aus den umgebenden Dörfern stammten, zusammenhängen. Zum Schluss werden die Stärke und Art der Verbindungen der Siedlung zu dem griechischen Festland, Kreta, dem Vorderen Orient, Ägypten, Sardinien und Kleinasien durch die standardisierte Typologie jeder Region aufgezeigt. Der Fall ist charakteristisch für die Tongefäße Kretas und des Vorderen Orients, welche ausschließlich Transport-/Lagergefäße umfassten, während zu den importierten mykenischen Gefäßen auch Tischgeschirr gehörte, das eigenständig nach Zypern exportiert wurde (z. B. Essschüsseln).

Um auf meine Universität zurückzukommen, hatte ich eine tolle Zeit in meinen Bibliotheken. Die Hauptbibliothek mit meinem persönlichen Arbeitsplatz lag im alten Stadtschloss, dessen lange Geschichte bis ins Mittelalter zurückreicht. Das Schloss beherbergt ein archäologisches Museum und bietet eine wundervolle Aussicht, was die Arbeit dort vor meinem archäologischen Hintergrund zu einer wahren Freude machte.

Die anderen Bibliotheken wie das Theologicum und das Hauptgebäude lagen in der Stadt verteilt und obwohl ich es nicht gewohnt war, durch die Stadt laufen zu müssen, um meine Bücher zu finden, würde ich sagen, dass es mir letztlich gefallen hat, da sich mir dadurch eine gute Gelegenheit bot, weitere Bibliotheken zu sehen und mehr Menschen kennenzulernen.

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Die "Orte des Wissens": Bibliothek und Museum in Tübingen

Was meine nächsten Schritte anbelangt, so möchte ich weiter forschen und nach meiner Promotion im Frühjahr 2024 mein Habilitationsverfahren beginnen. Parallel dazu werde ich meine Dissertation veröffentlichen.

Dieses Jahr durfte ich außerdem an einem Kolloquium teilnehmen, auf dem ich das Thema meiner Dissertation besprechen und meine wissenschaftliche Erfahrung mit anderen Forschenden und Professoren meines Fachbereichs teilen konnte. Ich traf Menschen, mit denen ich über meine Interessen und Gedanken zur Archäologie und zu den methodologischen Ansätzen sprechen konnte.

Aus persönlicherer Sicht bot sich mir die Chance, einige Feste in meiner Stadt zu besuchen, darunter das Schokoladenfestival und der Weihnachtsmarkt im November-Dezember sowie das Stadtfest im Juli, und im Rahmen der Universitätsveranstaltungen Menschen aus unterschiedlichen Ländern zu begegnen. Ich stellte fest, dass solche Feste in Deutschland wohl in der Regel viel länger dauern als griechische, nämlich mehrere Wochen lang. Dort gibt es normalerweise traditionelles deutsches Essen und Bier, während man auf griechischen Festen oft traditionelle griechische Speisen und Getränke findet. Während Bier nicht gerade mein Lieblingsgetränk ist, muss ich zugeben, dass mir die Spätzle aus der deutschen Küche wiederum sehr gut geschmeckt haben.

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Festtage in Tübingen: das Stadtfestival im Juli und der winterlicher Lichterglanz auf dem Weihnachtsmarkt

Die Ruhe der Stadt zog mich nach draußen zu Spaziergängen durch die Stadtmitte und die Parks. In Deutschland sind Outdoor-Aktivitäten viel üblicher, genau wie das Fahren auf Fahrrädern. Zwar hat das meine Gewohnheiten in Bezug auf die öffentlichen Verkehrsmittel nicht geändert, aber ich fand es interessant, vor allem, weil ich glaube, dass weniger Autos in den Städten einen Unterschied machen können.

Was mir außerdem noch aufgefallen ist, ist die unterschiedliche Herangehensweise der beiden Länder an das Abfall- und Recyclingmanagement. Das deutsche System ähnelt dem System, das ich vor einigen Jahren in Gent beobachtet habe, und trägt weitaus effektiver zur Abfallreduzierung bei.

Ein Erlebnis, an das ich mich noch jahrelang erinnern werde, war der Besuch meiner Schwester, die die Stadt ebenfalls liebte. Meine Schwester und ich besichtigten das Kloster und den Palast Bebenhausen sowie die Städte Heidelberg und Stuttgart und waren beide beeindruckt, vor allem von den Museen.

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Schwestern auf Entdeckungsreise: Von Tübingens Charme zu Heidelbergs Romantik und Stuttgarts Dynamik.

Neben der Schönheit meiner Stadt werde ich aus diesem Jahr in Deutschland mitnehmen, wie stark und unerschrocken ich mich beim Ausprobieren neuer Erfahrungen und Routinen gefühlt habe und wie unabhängig ich alles gemeistert habe, während ich alleine dort lebte. Ich glaube, das wird mir bei meiner archäologischen Arbeit helfen, aktiv an der Forschung dranzubleiben.

Auf jeden Fall wünschte ich, ich könnte mehr Zeit in meiner Stadt verbringen oder sogar auf Dauer dort hinziehen. Die morgendlichen Spaziergänge durch die Straßen meines Viertels vermisse ich jetzt schon. In Anbetracht dessen werde ich Dr. Maria Trumpf-Lyritzaki für dieses Jahr in Tübingen für immer zu großem Dank verpflichtet sein, denn es ist mehr als nur eine Forschungserfahrung: Es bringt Erinnerungen fürs Leben hervor. Abschließend möchte ich meine Wertschätzung sowohl gegenüber Dr. Maria Trumpf-Lyritzaki als auch der DAAD-Stiftung zum Ausdruck bringen.

Stand: September 2023. Die englische Version ist das Original.